Dämmbranche tritt immer aggressiver auf

VonMichael Fabricius,Martin Greive

Seit Monaten wandert er Abend für Abend durch ein Wäldchen, trifft auf eine Familie im idyllischen Eigenheim und erzählt die Geschichte vom "Familienmitglied" Haus. Und: "Wenn wir richtig dämmen, erhöhen wir nicht nur die Behaglichkeit, sondern senken auch den Energieverbrauch." Der frühere "Tagesthemen"-Moderator Ulrich Wickert ist häufiger denn je im Fernsehen. Im Auftrag einiger Firmen, die vornehmlich Farben und Styroporplatten herstellen, wirbt er für die Dämmung von Hausfassaden.

Doch allmählich läuft der 72-jährige Journalist und Buchautor Gefahr, sein eigenes Image zu beschädigen. Seine Botschaft kommt nicht an.

Zwar wurden bereits viele Millionen Euro investiert und viele Millionen Kubikmeter Dämmstoff an deutsche Häuserwände geklebt und geschraubt. Doch noch immer sind mindestens 70 Prozent aller deutschen Wohnimmobilien schlecht oder gar nicht gedämmt. 

 

Zuletzt ging die Sanierungsquote des Gebäudebestandes sogar deutlich zurück. Es ist insbesondere das Dämmen, das vielen Bürgern suspekt erscheint. Das Ziel der Bundesregierung, 40 Prozent der CO2-Emissionen von Gebäuden bis 2020 einzusparen, rückt in weite Ferne.

Seit Langem schon versuchen dieLobbyistender Dämmstoffindustrie, die Hausbesitzer davon zu überzeugen, ihre vier Wände in Polystyrol (vulgo: Styropor) oder Mineralwolle einzupacken. Doch Berichte über Brandgefahren, Bauschäden und schlechte Rentabilität beschädigten das Image der Dämmung als Energiesparmaßnahme.

Je schlechter aber das Ansehen der Hausverpacker wird, umso aggressiver treten sie auf. Auf kritische Berichte gibt es teilweise extreme Reaktionen, Drohungen, Boykottaufrufe. In der Politik, bei Experten und sogar bei befreundeten Verbänden und Aktionsbündnissen schmilzt unterdessen die Unterstützung für die Wärmedämmung. Selbst die halbstaatliche Deutsche Energie-Agentur (Dena), sonst ein großer Verfechter der Wärmedämmung, scheint auf Distanz zu gehen

Als Ende September Pläne für eine steuerliche Förderung energetischer Sanierung bekannt wurden, blieb der Jubel in der Dämmbranche aus. Denn wenn überhaupt, sollen alle energetischen Maßnahmen staatliche Unterstützung erhalten, wie aus einem Positionspapier der Unionsfraktion im Bundestag hervorgeht. "Wir können uns eine steuerliche Entlastung für energetische Gebäudesanierung vorstellen", sagt Michael Groß (SPD). "Aber wir dürfen nicht mit der Gießkanne durchs Land ziehen, sondern müssen technologieoffen regionale Schwerpunkte setzen, die gleichzeitig Einkommensschwache nicht benachteiligen."



Einstige Befürworter kritisieren jetzt Dämm-Wahn

Die Plastikschaumhersteller werden sich die geplante Förderung also mit anderen teilen müssen. Der SPD-Politiker steht der Dämmung sogar betont kritisch gegenüber: "Dach- und Kellerdämmung oder ein Heizungsaustausch machen Sinn", sagt er, "abereine Volldämmung in jedem Fall nicht."

Damit ist Groß bei Weitem nicht der Einzige, der Abstand nimmt. Selbst Oliver Krischer, Vizefraktionschef der Grünen im Bundestag, stellt fest: "Irgendwie ist das Bild entstanden, das Einpacken von Häusern in Styropor sei die einzige Form der energetischen Gebäudesanierung. Die Dämmung ist eine wichtige Maßnahme, aber beileibe nicht die einzige. Je nach Zustand können etwa eine neue Heizung oder neue Fenster einen ebenso entscheidenden Beitrag zur Energieeinsparung erbringen."

Unabhängige Bauexperten betonen schon seit Langem, dass viele Wege zur Energieeinsparung führen. "Eine ausschließlich auf Wärmedämmung ausgerichtete Informationskampagne wirkt da kontraproduktiv", sagt Ulrich Zink, der Vorsitzende des Bundesarbeitskreises Altbauerneuerung.

Zink hält diese Form der Energie-Sanierung sogar für eine der aufwendigsten und kostspieligsten.



Deutsche Hausbauer sollen Boom finanzieren

Doch die Hersteller lassen nicht locker. Der Grund ist offensichtlich: Das Industrieberatungsunternehmen Ceresana in Konstanz geht davon aus, dass der Dämmstoffmarkt europaweit im Jahr 2021 ein Gesamtvolumen von mehr als 21 Milliarden Euro erreichen wird. Maßgeblicher Treiber beim Umsatzwachstum soll Deutschland sein.

Das lockt inzwischen auch Unternehmen aus dem Ausland an: Der österreichische Hersteller Austrotherm, spezialisiert auf Dämmstoffplatten aus Polystyrol, eröffnete dieses Jahr ein für rund 40 Millionen Euro errichtetes Werk im brandenburgischen Wittenberge.

Solange aber eine direkte steuerliche Förderung ausbleibt, verstärken neue Anbieter nur den Konkurrenzkampf. Hinzu kommt auch noch ein Ringen der Dämmsysteme. Rund 50 Prozent der 2011 in Deutschland verkauften Dämmstoffe entfielen einer Studie des Forschungsinstituts für Wärmeschutz München (FIW) zufolge auf Mineralwollprodukte. Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) aus Polystyrol kamen hingegen auf nur rund 25 Prozent.

Da ist es nicht überraschend, dass führende Anbieter dieser Gruppe wie die Unternehmen Baumit und Sto hinter der Wickert-Kampagne stehen. Ihre Interessen haben sie im Verein Qualitätsgedämmt e.V. gebündelt. Mit dabei sind die Deutschen Amphibolin-Werke, die auf Beschichtungssysteme spezialisiert sind. Zu den unterstützenden Mitgliedern zählen auch das FIW selbst und die Gesellschaft für Rationelle Energieverwendung (GRE) in Kassel.

Sie alle haben sich zum Ziel gesetzt, Deutschlands Wohnhäuser in Hartschaumplatten zu hüllen. Es geht allerdings auch um ihre wirtschaftliche Existenz. Denn die Mineralwolle-Hersteller haben ein entscheidendes Argument auf ihrer Seite.



Brandgefahr macht Angst vor Styropor

Eine Flut von Medienberichten über in Brand geratene Häuser, bei denen das Feuer die größtenteils aus dem Erdölprodukt Polystyrol bestehenden Platten erfasste und über die Außenfassade in andere Wohnungen lief, macht der Branche schwer zu schaffen. Zu den Kritikern der je nach DIN-Norm leicht bis schwer entflammbaren Polystyrolplatten – im Grunde genommen nichts anderes als verarbeitetes Erdöl – zählen so namhafte Personen wie Albrecht Broemme.

Der heutige Präsident des Technischen Hilfswerks (THW) erlebte in seinem früheren Amt als Einsatzleiter der Berliner Feuerwehr, wie bei einem solchen Brand in einem Mehrfamilienhaus im Stadtteil Heinersdorf zwei Menschen starben. Ein brennender Fernseher hatte zunächst ein Zimmer in Flammen gesetzt. Als die Fensterscheibe durch die Hitze barst, raste das Feuer über die mit Styroporplatten gedämmte Fassade und setzte andere Wohnungen in Brand.

Seither warnt Broemme vor der Verwendung von Polystyrol als Fassadendämmstoff: "Wüssten die Menschen um das Brandrisiko, würden sie dagegen auf den Straßen protestieren."

Auf dem hart umkämpften Dämm-Markt ist ein solches Image katastrophal. "Die negativen Medienberichte über die Brandgefahr hat den WDVS-Herstellern nicht gutgetan", sagt Thomas Tenzler. Er ist Geschäftsführer des Fachverbands der Mineralwollindustrie (FIM). Dessen Mitglieder hoffen darauf, durch die Probleme der Polystyrolplatten-Anbieter ihre Marktanteile noch weiter ausbauen zu können.



Markt für Dämmung von Dach, Fassade und Keller ist geteilt

Die Chancen dafür stehen gut. Denn die aus zermahlenem und anschließend gesponnenem Glas oder Stein gefertigten Fasermatten sind zwar teurer als Polystyrol, bieten aber einen großen Vorteil: "Mineralwolle ist nicht brennbar", sagt Tenzler fast ein wenig süffisant.

Das Marketing der Faserhersteller ist ganz auf die Schwächen der Polystyrolplatten ausgerichtet: "Keine Kompromisse beim Brandschutz" heißt es auf der Website des FIM. "Wer also als Hausbesitzer beim Neubau und bei der Modernisierung konsequent zum nicht brennbaren Dämmstoff greift, erreicht damit automatisch ein großes Plus an Sicherheit für sich und seine Familie." Schöner hätte es Ulrich Wickert nicht sagen können.

In einem sind sich der FMI und die Polystyrolplatten-Anbieter allerdings einig: Beide wünschen sich, dass Deutschlands Grundeigentümer in den kommenden Jahren Milliardenbeträge auf den Tisch legen, um ihre Eigenheime abzudichten. "Damit die Energiewende gelingt, müssen die Häuser im Bestand umfassend gedämmt werden", sagt Tenzler.

Für die Hausbesitzer heißt das: Sie sollen tief in die Tasche greifen. "Eine umfassende Dämmung von Dach, Fassade und Keller kostet je nach Art, Größe und Alter des Hauses zwischen 25.000 und 50.000 Euro", sagt Corinna Merzyn, Geschäftsführerin des Verbands Privater Bauherren.



Lobbyorganisation mit gigantischer PR-Maschinerie

Für die meisten Eigentümer ist so ein Betrag ohne Kredit nicht zu stemmen. Das lässt viele Besitzer zögern. Zumal sich eine solche Investition kaum über eingesparte Heizkosten wieder einspielen lässt. Allenfalls mit der theoretischen Wertsteigerung eines gedämmten Hauses ließe sich eine solche Ausgabe rechtfertigen.

Darum zieht der FMI, wenn es um die große Politik und Steuererleichterungen geht, mit drei anderen Verbänden an einem Strang und hat sich mit dem Industrieverband Polyurethan-Hartschaum, der Fachvereinigung Polystyrol-Extruderschaumstoff und dem Industrieverband Hartschaum (IVH) im Gesamtverband Dämmstoffindustrie, GDI abgekürzt, zusammengeschlossen. Es ist die größte und schlagkräftigste Lobbyorganisation am Markt für die energetische Sanierung von Häusern. Als Kooperationspartner mischt die halbstaatliche Deutsche Energie-Agentur mit.

In der Eigendarstellung gibt sich der Gesamtverband bescheiden: "In Publikationen und Fachveranstaltungen macht der GDI darauf aufmerksam, dass die Wärmedämmung von Gebäuden einen wesentlichen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz sowie zur Sicherung der Energieressourcen liefert."

Tatsächlich aber läuft hinter den Kulissen eine gigantische PR-Maschinerie. Beispielhaft zeigt sich dies an der GRE. Die Gesellschaft für Rationelle Energieverwendung in Kassel, die zu den Unterstützern des Wickert-Kampagnenvereins Qualitätsgedämmt gehört, produziert Publikationen mit Titeln wie "Energieeinsparung im Wohngebäudebestand", "Plusenergiehäuser – Paradigma einer erfolgreichen Energiewende", oder "Die 10 Gebote zur energetischen Optimierung von Wohngebäuden".

Allen Papieren gemeinsam: ein Plädoyer für das Dämmen. Das überrascht nicht. Zu den Mitgliedern der GRE zählen unter anderem der GDI, der FIM, das Forschungsinstitut FIW, der IVH und der WDVS-Hersteller Sto. Ein Ringelreigen von Lobbygruppen, die miteinander immer neue Organisationen und Aktionskampagnen gründen, um mit wissenschaftlichem Anstrich Werbung für ihre Produkte zu machen.



Klimaschutz-Ziel verfehlt

In Berlin sind die Vertreter der Dämmstoffindustrie häufig gesehene Gäste auf den Fluren des Bundestags. Wegen der anstehenden Entscheidungen zur steuerlichen Förderung, zum Aktionsplan Klimaschutz und zum Aktionsplan Energieeffizienz ist die Industrie derzeit besonders aktiv.

Und die Lobbygruppen sind gut vernetzt. Bei einem Fachgespräch der Grünen-Fraktion mit dem hübschen Titel "Gemütlich und warm statt rausspekuliert und arm – energetische Gebäudesanierung für alle" war etwa eine alte Bekannte der Partei mit dabei: Marianne Tritz, die frühere Bundestagsabgeordnete der Grünen. Tritz war 2008 als Lobbyistin zum Deutschen Zigarettenverband gewechselt. Seit Mai 2013 vertritt Tritz nun aber als Geschäftsführerin die Interessen des Gesamtverbandes Dämmstoffindustrie.

Kleinere Akteure im Sanierungsgeschäft können da nicht mithalten. Beispielsweise die Anbieter von Holzfaserdämmplatten, die im Verband Holzfaser Dämmstoffe (VHD) organisiert sind. Dessen Werbeetat ist so beschränkt, dass im bisherigen Jahresverlauf lediglich eine Pressemitteilung pro Monat herausgebracht wurde, um den nachwachsenden Dämmstoff bekannt zu machen.

Auch das Handwerk der Heizungsinstallateure muss sich in der Werbung bescheiden. "Wir haben nicht die finanziellen Mittel, um massive Kampagnen wie die Dämmstoffindustrie zu fahren, hinter der auch große Chemiekonzerne wieBASFstehen", sagt Frank Ebisch, Sprecher des Handwerks-Zentralverbands Sanitär Heizung und Klima (ZVSHK).

Das schlägt sich in der Auftragslage nieder, wie eine neue Umfrage des Verbands zeigt. "In den kommenden fünf Jahren wollen zwar zwei Drittel der Eigenheimbesitzer ihre Bäder verschönern, jedoch nur ein Drittel von ihnen plant eine Modernisierung der Heizungsanlage", sagt Ebisch.



Komplettsanierung wirklich besser als Einzelsanierung?

Überhaupt ist das Interesse der Bundesbürger am energetischen Zustand ihrer Immobilien gesunken. Die jährliche Sanierungsquote sank zuletzt auf 0,8 Prozent des Gebäudebestands. Ursprüngliches Ziel der Politik war eine Quote von zwei Prozent. Dann, aber nur dann, wären binnen eines halben Jahrhunderts alle Häuser in Deutschland saniert gewesen. Dieses Ziel wird die Bundesregierung wie viele andere beim Klimaschutz verfehlen.

Wichtigster Botschafter der Regierung in dieser Sache ist nach wie vor die Deutsche Energie-Agentur, die fleißig am Lobbynetzwerk der Dämmstoffindustrie, aber auch der Anlagenbauer mitwirkt. Knapp 50 Prozent des Dena-Budgets werden vom Steuerzahler getragen, die zweite Hälfte erwirtschaftet die Agentur durch die Bearbeitung von Aufträgen aus der Wirtschaft.

Die Dena rief nicht nur die "Allianz für Gebäude-Energie-Effizienz" ins Leben, die finanziell von zwei Bundesministerien ausgestattet wird. Sie taucht auch als Kooperationspartner der Kampagne "Dämmen lohnt sich" mit Ulrich Wickert auf.

Der Geschäftsführer der Dena, Stephan Kohler, stand gelegentlich im Verdacht, die Interessen der Dämmstoffindustrie besonders stark zu berücksichtigen. Ein Bundestagsabgeordneter sagt, er habe den Eindruck, dass Kohler klare Partikularinteressen vertrete: "Er stellt es immer so da, als ob Einzelsanierung wenig bringe, sondern nur eine Komplettsanierung." Das sei aber nachgewiesenermaßen Unsinn.



"Nicht an der lautesten Werbekampagne orientieren"

Auf direkte Nachfrage legt der Dena-Chef jetzt allerdings größten Wert darauf festzustellen, dass die Agentur an der Aufklärung über sämtliche Maßnahmen der energetischen Gebäudesanierung arbeite. "Wir betrachten das Haus als System. Die Energieeffizienz kann am wirtschaftlichsten umgesetzt werden, wenn sowieso eine Sanierung stattfindet. In einem Fall kann das eine Heizung sein, im anderen Fall kann es eine Wärmedämmung sein", sagt Kohler.

Das ist es auch, wozu unabhängige Bauexperten raten. "Eigenheimbesitzer sollten sich bei der Entscheidung über eine energetische Sanierung nicht an der lautesten Werbekampagne orientieren, sondern durch einen neutralen Sachverständigen prüfen lassen, welche Maßnahmen zu welchem Preis welche Einsparpotenziale bieten", sagt Günter Vornholz, Professor für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum. "Ein neuer Heizkessel kostet nur 8000 bis 12.000 Euro, eine komplette Außendämmung ein Vielfaches davon – da lohnt es sich, genau nachzurechnen."

Auch Alexander Wiech vom Eigentümerverband Haus & Grund rät davon ab, sich bei einer energetischen Sanierung ausschließlich auf die Dämmung zu fokussieren. "Eigenheimbesitzer sollten durch einen unabhängigen Experten ermitteln lassen, welche Maßnahmen an ihrem Haus am sinnvollsten sind."

Es geht schließlich um viel. Wie sagt Ulrich Wickert? "Häuser sind wie ein Familienmitglied."

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