Die Zeit der Glas-und Betonkästen ist zu Ende 

 

 

 

Die architektonische Moderne, das "reduktionistische Bauen" war ein fataler Fehler. Gerade ökonomisch. Das sieht jetzt sogar der Bund Deutscher Architekten ein. Und findet tatsächlich Alternativen.

 

Es war ein endlos langer Klärungsprozess – aber nun endlich scheint die kritische Aufarbeitung der Architekturmoderne auch den Bund Deutscher Architekten (BDA) zu erreichen. "Der Internationale Stil hatte die architektonische Welt mit formalen und auch gesellschaftlichen Fragen konfrontiert. Aber der formal reduktionistische Ansatz hatte nie eine besondere Affinität zum klimagerechten Bauen – im Gegenteil, die Bauten des Internationalen Stils sind, bis auf wenige Ausnahmen, klimatisch betrachtet ziemliche Katastrophen." Das schreibt nicht irgendwer, sondern der renommierte Freiburger Architekturprofessor Günter Pfeifer, Chef der Fondation Kybernetik, eines Praxislabors der TU Darmstadt. Und er schreibt es nicht irgendwo, sondern in der Hauszeitschrift des BDA "Der Architekt".

 

Pfeifer zieht in dem Heft eine Zwischenbilanz der Energiewende und kommt zu dem niederschmetternden Resultat, dass die Dämmplattenschwemme, die über das Land flutet, eigentlich nur einem Zweck dient: die technischen Mängel des "reduktionistischen Ansatzes" nachzubessern. Aber ist die Dämmung dazu wirklich der ökonomisch und ökologisch beste Weg, oder wird damit nicht vielmehr nur das nächste Desaster angerichtet? Pfeifers Beiträge für das Heft lassen nur einen Schluss zu: Es gibt weitaus bessere Alternativen. Aber sie erfordern ein Umdenken von Grund auf.

Dafür muss zunächst das Scheitern des "reduktionistischen Ansatzes" aufgearbeitet werden, jenes "Weniger ist mehr" (Mies van der Rohe), das die Architekturkünstler der Moderne eben nicht nur auf die formale Gestaltung, sondern verhängnisvollerweise auch auf die Technologie des Bauens angewandt haben. Hätte man sich nicht auf die dachlosen, dünnwandigen Gehäuse der Architekturmoderne festgelegt, sondern weiter mit Ziegelstein und Holz gebaut, könnte man sich heute den Milliardenaufwand der klimatechnischen Nachrüstung weitgehend sparen.

„Die ästhetischen Überhöhungen von Konstruktion und Hülle, von Mies van der Rohe auf die Spitze getrieben, waren ein klimatisches Debakel und machten die Häuser nur begrenzt bewohnbar.“

 

Günter PfeiferChef der Fondation Kybernetik  

 

Das führt zu einer zweiten Einsicht: Dass die Beton- und Leichtbauweise zumindest "billiger" als die herkömmliche Bautechnologie sei, erweist sich im nachhinein als eine Mär. Pfeifer sagt es so: "Ökonomisch gesehen stehen gedämmte Außenwandkonstruktionen keineswegs günstiger da als das monolithische Mauerwerk." Das bedeutet aber unter dem Strich, dass die so plumpen wie im Grenzfall eleganten Beton- und Glasschachteln (die vielen schon immer als unvollendet erschienen waren) eigentlich nie wirklich fertiggebaut worden sind. Dämmung ist nichts anderes als Nachbesserung. Häuser mit monolithischem Mauerwerk haben eine solche Panzerung kaum nötig.

Erst recht erweist sich das Versprechen der Kostenvorteile des Betonschuppens als gigantischer Irrtum, wenn man die Lebenserwartung derartiger Gebäude einrechnet. In der, wie Pfeifer schreibt, "Life-Circle-Analyse" schneide die "Beton-plus-Dämmung-Variante auf jeden Fall ungünstiger" als das solide Mauerwerk ab. Das heißt: Die Häuser mit ihrem aufgeklebten "Facelifting" altern rapide. Berücksichtige man, welcher Aufwand für die Bewältigung der Transmissionsverluste getrieben werden muss, für die man bei gedämmten Häusern nicht ohne zusätzliche "zentrale Installationen" auskomme, stelle sich die Bilanz für das gedämmte Haus noch ungünstiger dar. Und in diese Kostenbilanz ist die Entsorgung der nach 20, spätestens 30 Jahren verschlissenen, nicht mehr gebrauchsfähigen Dämmplatten noch nicht einmal eingerechnet.

Pfeifer, der auf seinem Gebiet als "Papst" gilt, macht aus seiner negativen Meinung über die Götter der Architekturmoderne keinen Hehl. "Le Corbusier hat mit seinem ,plan libre' die Starrheit der determinierten Räume mit der Trennung von Konstruktion und Hülle propagiert und den offenen Grundriss gefordert. Er hatte zwar erkannt, dass die Häuser, ähnlich einer Lunge, atmen müssten, jedoch blieb es nur Theorie. Die ästhetischen Überhöhungen von Konstruktion und Hülle, von Mies van der Rohe auf die Spitze getrieben, waren – siehe das Farnsworth House – ein klimatisches Debakel und machten die Häuser nur begrenzt bewohnbar."

 

„Die Erfindungen der Moderne waren, ökonomisch gesehen, nichts als eine Art Behelfs- und Interimsbauweise.“  

Aber an diese Vorbilder haben vier Architektengenerationen wie an Heilsbringer geglaubt, und eine heute bis auf die Betonskelette des architektonischen Nachlasses der Bauhausmoderne blamierte Baupolitik hat es kritiklos übernommen. Pfeifers Beiträge im "Architekt" kann man nur so lesen, dass sich jetzt auch die renommierteste deutsche Architektenvereinigung eingesteht: Die Erfindungen der Moderne waren, ökonomisch gesehen, nichts als eine Art Behelfs- und Interimsbauweise, deren Vollendung die genialen Vordenker großzügig späteren Generationen überlassen haben.

 

Wenn aber das Milliardenprogramm "Dämmung plus Beton" alles andere als ein Königsweg ist – wie kann der angerichtete Schaden bewältigt werden? Pfeifer rät, zur Technologie der "Luftkollektoren" zurückzukehren, sprich: zur Sammlung und Verteilung von Einstrahlungswärme in so althergebrachten technischen Systemen, wie sie das Satteldach, das Kastenfenster und die speicherfähige Wand darstellen. Wenn man es richtig anpacke, könne man selbst die Rasterfassaden des Funktionalismus der Sechziger- und Siebzigerjahre etwa mit vernünftig eingesetzten Kastenfenstern und einfachen Lüftungsgeräten "zu aktiven Luftkollektoren" umgestalten, "die den Energieverbrauch weit mehr mindern als jedwede Dämmtechnologie".

 

Was gar nicht genug hervorgehoben werden kann, das sind die von Pfeifer aufgeführten positiven "Nebeneffekte" eines Umsteuerns auf Luftkollektortechnologien. Die Risiken und Nebenwirkungen, die in der derzeitigen energetischen Nachrüstungspraxis stecken, würden drastisch minimiert, die astronomischen Kosten deutlich gesenkt und die Ökorenditen der Nachrüstung obendrein schlagartig verbessert. Im Unterschied zu den eingesetzten Dämmstoffen seien Luftkollektoren aus Polycarbonatplatten einfach demontier- und recyclebar, sparsamer in der Inanspruchnahme von Rohstoffen, schonender im Hinblick auf die "alte und ehrwürdige Bausubstanz". Und: "Probleme mit Feuchte im Zwischenraum kann es nicht geben, sie wird einfach weggelüftet."

 

Die bundespolitischen energetischen Nachrüstungsprogramme haben ihre Glaubwürdigkeit verloren, weil sie mit falschen Versprechungen propagiert worden sind. Falsch ist nicht die Nachrüstung, aber deren Technologie, die in der unterschiedslosen Behandlung des Bautenbestandes den Gipfel der Verantwortungslosigkeit erreicht. Nur um die Katastrophe vermeintlich "moderner" Bautechnologien nicht eingestehen zu müssen, an denen ganze Industrien mit Tausenden Arbeitsplätzen hängen, hat man dieselben Nachrüstungsprogramme für alle Bautypen vom Lehm- über das Fachwerk- und das Gründerzeithaus bis zu den Villen, Bungalows sowie Siedlungs-, Zeilen- und Punkthochhäusern des 20. Jahrhunderts verordnet.

Pauschale Lösungen für alle Bautypen verwandeln das ganze Land in eine neuerliche Plattenlandschaft, die dann von Horizont zu Horizont reicht: die Landschaft der Dämmplatte.  

Inzwischen aber weiß man: Pauschale Lösungen für alle Bautypen können weder den Maßstäben einer haushälterischen Politik noch den ökologischen Zielsetzungen genügen. Zudem verwandeln sie das ganze Land, das sich eben erst vom Albtraum der Plattenbausiedlungen zu befreien beginnt, in eine neuerliche Plattenlandschaft, die dann von Horizont zu Horizont reicht: die Landschaft der Dämmplatte.

Will man die Glaubwürdigkeit in der Energieeinsparungspolitik zurückgewinnen, muss man hier radikal zurückrudern und alle Gebäude, die vor 1920 errichtet worden sind, von der Verpflichtung zur Fassadendämmung grundsätzlich freisprechen. Das Festhalten an der bisherigen, längst schon aufgeweichten Praxis spricht nicht nur der Ökonomie und der Ökologie, sondern auch der sozialen Verantwortung und der Baukultur hohn.

Das muss aber erst recht beim Neubau gelten. Ohne grundsätzliche Reform ist er energiepolitisch nicht mehr verantwortbar. Am Beispiel eines 20 Hektar großen Baugebiets in Wolfsburg, wo mit monolithischem Mauerwerk ohne Dämmung Heizenergiekennzahlen erreicht werden, die 60 Prozent unter den Richtwerten der gültigen Energieeinsparungsverordnung liegen, weist Pfeifer nach, dass "Beton plus Dämmung" ein anachronistischer Nonsens ist.

 

Wer sich in der Architekturgeschichte auskennt, der weiß, mit wie viel Hartnäckigkeit und langem Atem, wie viel fehlgeleiteten und umso rosiger ausgemalten Erwartungen, mit wie viel Chuzpe und Überrumpelung wortgewaltige Pioniere des "neuen Bauens" wie Walter Gropius, Ernst May, Ludwig Mies van der Rohe und natürlich Le Corbusier die neue Bautechnologie politisch durchgesetzt haben.

Das Umsteuern zurück zu bewährten herkömmlichen Technologien braucht ebenso viel Durchsetzungskraft. Sie muss den Politikern und den Architekten abverlangt werden. Die Zukunft liegt in der Wiederaufnahme und Weiterentwicklung von Technologien, welche die Menschheit in Tausenden von Jahren entwickelt hat, um sich Wohnung zu schaffen und sich und ihre Habe vor Klimaunbilden zu schützen. Die Zukunft liegt nicht in der stickigen Luftkonserve, sondern im menschenfreundlichen, klimagerechten "atmenden Haus".

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